Unzulässige Beweismittel in Strafverfahren im Kontext der Rechtsprechung des EGMR

Beweise können als ein wesentlicher Bestandteil von Strafverfahren angesehen werden. Die Strafverfolgungsbehörden sammeln und suchen nach Beweisen, die den Sachverhalt zweifelsfrei belegen. Diese Fakten bilden dann die Grundlage für die Entscheidung über die Schuld und die Strafe des Angeklagten. Die Beweisführung ist oft sehr komplex, vor allem, wenn es sich bei dem Gegenstand des Strafverfahrens um organisierte Kriminalität handelt. Jeder Prozess wird jedoch überprüft und nur ein “fairer Prozess” kann als rechtmäßig angesehen werden. Daher unterliegen die Rechte und Pflichten der Parteien und der Strafverfolgungsbehörden einer Reihe von Korrektiven wie Gesetzen, Verfassungsnormen oder internationalen Verträgen, um die Fairness des Verfahrens zu gewährleisten. Dieser Artikel erörtert die Frage der so genannten unzulässigen Beweismittel in Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Schutz der grundlegenden Menschenrechte und Freiheiten durch die Europäische Konvention und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und versucht die bestehende Rechtsprechung in diesem Bereich zusammenzufassen.

Bei der Beweisführung gibt es immer einen Interessenkonflikt – das Interesse der Gesellschaft an einer gerechten Bestrafung des Täters und das Recht des Einzelnen auf Privatsphäre und Unverletzlichkeit. In Artikel 6 der Konvention ist vom Recht auf ein faires Verfahren die Rede, welches das Recht jeder Person auf ein unabhängiges Gericht in einem ordnungsgemäßen Verfahren einschließt. Es gibt keine Bestimmungen über die so genannte Unzulässigkeit von Beweismitteln in Strafverfahren, so dass diese sich aus der Rechtsprechung selbst ergeben . In der Rechtssache Tiemann gegen Frankreich und Deutschland stellte der EGMR fest, dass “Artikel 6 Absatz 1 des Übereinkommens keine Vorschriften über die Zulässigkeit oder Beweiskraft von Beweismitteln oder über die Beweislast enthält, die grundsätzlich dem nationalen Recht unterliegen“.1 Der EGMR schloss daher seine Zuständigkeit für die Prüfung der Unzulässigkeit von Beweismitteln im Rahmen von Artikel 6 Absatz 1 des Übereinkommens aus. Die Zulässigkeit von Beweismitteln wird jedoch im Zusammenhang mit anderen grundlegenden Menschenrechten und Freiheiten beurteilt. Dies bedeutet aber nicht, dass die Beweisaufnahme außerhalb des Geltungsbereichs des Verfassungsrechts liegt – die grundlegenden Prinzipien der Fairness des Verfahrens, wie der Grundsatz der Waffengleichheit oder der kontradiktorische Charakter des Verfahrens, gelten auch für die Beweisphase.2

Unzulässigkeit von Beweismitteln, die durch Folter oder andere unmenschliche Behandlung erlangt wurden

Beweise die durch Folter oder andere unmenschliche Behandlung (Artikel 3 des Übereinkommens) erlangt wurden, können als absolut unzulässig angesehen werden. Damit ein Verstoß gegen Artikel 3 der Konvention festgestellt werden kann, muss eine solche unmenschliche und grausame Behandlung ein gewisses Mindestmaß an Schwere erreichen.3 Ein klassisches Beispiel ist der Verstoß gegen das Verbot der Nötigung.

Die Frage des Verbots der Nötigung zur Selbstbezichtigung im Zusammenhang mit einer Verletzung von Artikel 3 der Konvention wurde vom EGMR in der Rechtssache Jalloh gegen Deutschland behandelt. Herr Abu Bakah Jalloh wurde am 29. Oktober 1993 von Polizeibeamten verfolgt, weil er vor ihnen eine dünne Plastiktüte (die so genannte Blase) aus dem Mund genommen und  einer anderen Person gegen Geld ausgehändigt hatte. In dem Glauben, dass diese Beutel Drogen enthielten, hielten die Polizeibeamten den Beschwerdeführer fest, woraufhin er eine weitere “Blase”, die sich noch in seinem Mund befand, verschluckte.  Bei dem Beschwerdeführer wurden daraufhin keine weiteren Drogen gefunden. Die Beamten brachten den Beschwerdeführer in ein  Krankenhaus, wobei der Staatsanwalt anordnete, dass dem  Beschwerdeführer Medikamente, die ein Erbrechen auslösen, verabreicht werden. Der Beschwerdeführer stimmte dem nicht zu,  die Drogen wurden ihm dennoch gewaltsam verabreicht, und  aus dem Körper des Beschwerdeführers kam tatsächlich eine “Blase” Kokain mit einem Gewicht von 0,2182 g. Der Beschwerdeführer litt jedoch noch monatelang unter gesundheitlichen Problemen infolge dieses Verfahrens.

In seiner Entscheidung stellt der EGMR fest, dass Artikel 3 und 8 der Konvention es nicht verbieten, auch gegen den Willen eines Verdächtigen auf medizinische Maßnahmen zurückzugreifen, um Beweise für dessen Beteiligung an einer Straftat zu erlangen, dass aber jeder Rückgriff auf erzwungene medizinische Maßnahmen zur Erlangung von Beweisen für eine Straftat durch die Tatsachen des jeweiligen Falles überzeugend gerechtfertigt sein muss. Dies gilt insbesondere dann, wenn es darum geht, aus dem Inneren des Körpers einer Person tatsächliche Beweise für die Straftat derer sie verdächtigt wird zu gewinnen. Der besondere Eingriffscharakter eines solchen Verfahrens erfordert eine strenge Prüfung der Umstände des Einzelfalls. In diesem Zusammenhang ist die Schwere der betreffenden Straftat zu berücksichtigen. Die staatlichen Behörden müssen nachweisen, dass sie alternative Methoden zur Erlangung von Beweismitteln in Betracht gezogen haben. Außerdem darf das Verfahren nicht zu einer dauerhaften Schädigung der Gesundheit des Verdächtigen führen.

Wie bei Eingriffen aus therapeutischen Gründen darf die Art und Weise in der eine Person einem gewaltsamen medizinischen Eingriff unterzogen wird um Beweise aus ihrem Körper zu gewinnen nicht das in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Artikel 3 der Konvention festgelegte Mindestmaß an Schwere überschreiten. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die betroffene Person infolge des erzwungenen medizinischen Eingriffs schwere körperliche Schmerzen oder Leiden erleiden wird. Ein weiterer Aspekt der bei erzwungenen medizinischen Eingriffen zu berücksichtigen ist, ist die Frage, ob der Eingriff von einem Arzt angeordnet wurde und ob die betroffene Person unter ständiger ärztlicher Aufsicht stand. 5 Es ist auch zu prüfen, ob der erzwungene medizinische Eingriff zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands der betroffenen Person geführt hat und ob er dauerhafte Folgen für ihre Gesundheit hatte. Jede Strafverfolgungsbehörde sollte diese Grundsätze beachten – wird gegen sie verstoßen, handelt es sich um so genannte unzulässige Beweismittel in Strafverfahren. In der Rechtssache Jalloh gegen Deutschland stellte der Gerichtshof fest, dass die erlangten Beweise die einzige Grundlage für die Verurteilung des Klägers waren und dass das Strafverfahren gegen ihn daher ungerechtfertigt war.

Eine weitere Möglichkeit, wodurch Beweise aufgrund eines Verstoßes gegen Artikel 3 der Konvention unzulässig werden können, besteht darin, dass so genannte abgeleitete Beweise auf der Grundlage einer grausamen und unmenschlichen Behandlung erlangt werden (die so genannte„fruit of the poisonous tree“ Doktrin ). Nach Auffassung des EGMR führt diese Situation nur zu der Vermutung, dass das Recht auf ein faires Verfahren in dem betreffenden Strafverfahren verletzt wurde. Diese Vermutung kann nur durch eine gerichtliche Überprüfung und gegebenenfalls durch die Feststellung eines Verstoßes gegen das Recht auf ein faires Verfahren bestätigt oder widerlegt werden. Die Zulässigkeit selbst muss dann von den nationalen Gerichten geprüft werden.

Unzulässigkeit von Beweismitteln wegen Verletzung des Rechts auf Privatsphäre

Artikel 8 der Konvention garantiert jedem das Recht auf Privatsphäre. Die Rechtsprechung des EGMR hat den Schutz der körperlichen 6 und psychischen Unversehrtheit stets in den Begriff der Privatsphäre einbezogen. 7

In diesen und anderen Fällen der Prüfung einer möglichen Verletzung des Rechts auf Privatsphäre ist stets eine Abwägung zwischen dem Recht auf Privatsphäre und dem in Artikel 8 Absatz 2 der Konvention geforderten legitimen Ziel erforderlich. Einer der bekanntesten Fälle ist Schmidt gegen Deutschland, indem der Antragsteller gezwungen wurde, einer Blut- und Speichelproben der deutschen Polizei zuzustimmen. In diesem Fall stellte der EGMR unter Berücksichtigung aller Umstände keine Verletzung des legitimen Ziels fest, da es sich bei den Ermittlungen um eine sehr schwere Straftat handelte und der Eingriff in rechtmäßiger Weise durchgeführt wurde. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt hier nicht vor.

Schluss:

Die Verwendung von Beweismitteln, die infolge einer Verletzung anderer durch die Konvention garantierter Rechte (zusätzlich zu Artikel 3) erlangt wurden, führt nicht automatisch zu einer Verletzung des durch Artikel 6 der Konvention garantierten Rechts auf ein faires Verfahren. Keine der Bestimmungen der Europäischen Konvention regelt ausdrücklich die Zulässigkeit oder die Methodik der Beweiswürdigung in Strafverfahren, so dass nur Artikel 6, der das Recht auf ein faires Verfahren garantiert, als spezifische Garantie für ein faires Verfahren herangezogen werden kann. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Beweisaufnahme und die Behandlung von Beweismitteln im Einklang mit dem Übereinkommen stehen, sofern sie nicht gegen diese Garantien verstoßen. Die Zulässigkeit von Beweismitteln bleibt somit grundsätzlich in der ausschließlichen Zuständigkeit des nationalen Rechts und der nationalen Gerichte.

Dennoch hat sich der EGMR in seiner Rechtsprechung mit der Zulässigkeit von Beweismitteln in Strafverfahren im Zusammenhang mit Verstößen gegen andere Grundrechte und -freiheiten befasst, insbesondere mit dem Verbot der Folter und anderer unmenschlicher Behandlung (Artikel 3 der Konvention) oder dem Recht auf Privatsphäre (Artikel 8 der Konvention).

Der EGMR stellte dadurch fest, dass die Konvention den Rückgriff auf erzwungene medizinische Eingriffe zur Unterstützung von strafrechtlichen Ermittlungen nicht grundsätzlich verbietet. Jeder Eingriff in die körperliche Unversehrtheit einer Person, der zum Zwecke der Beweiserhebung vorgenommen wird, muss jedoch einer strengen Prüfung unterzogen werden, wobei folgende Faktoren von Bedeutung sind: das Ausmaß, in dem der erzwungene medizinische Eingriff zur Beweiserhebung notwendig ist, das medizinische Risiko des Verdächtigen, die Art und Weise der Durchführung des Eingriffs sowie die dadurch verursachten körperlichen und seelischen Schmerzen, der Umfang der medizinischen Überwachung und die Auswirkungen auf die Gesundheit des Verdächtigen. In Anbetracht der Gesamtheit aller Umstände des Einzelfalls darf der Eingriff nicht ein Mindestmaß an Schwere erreichen, das ihn in den Anwendungsbereich von Artikel 3 fallen ließe.

Aus den obigen Ausführungen geht also hervor, dass nach der Rechtsprechung des EGMR nicht jede Verletzung eines durch die Konvention garantierten Rechts automatisch insgesamt zu einem Verstoß gegen ein faires Verfahren oder zur späteren Unverwertbarkeit von Beweismitteln führt. Wir können daher nur darüber spekulieren, ob ein Verfahren, in dem rechtswidrig erlangte Beweise auftauchen, fair sein kann und ob es richtig ist, dass der EGMR in seiner Rechtsprechung ein solches Verfahren konsequent zugelassen hat. Es gibt eine wissenschaftliche Debatte zu diesem Thema, und die Rechtsauffassung ist trotz der eindeutigen Schlussfolgerung des EGMR derzeit trotzdem nicht einheitlich.

[1] Urteil des EGMR Tiemann gegen Frankreich und Deutschland vom 27. April 2000, Nr. 47457/99 und 47458/99.

[2] Beschluss des Verfassungsgerichts II. ÚS 3312/16 vom 8. Dezember 2016, Absatz 13.

[3] Urteil des EGMR Jalloh gegen Deutschland vom 11. Mai 2006, Nr. 54810/00, Absatz 67.

[4] Weitere Informationen sind dem Urteil Jalloh gegen Deutschland zu entnehmen, das hier abrufbar ist: https://sbirka.nsoud.cz/vyber/jalloh-proti-nemecku-rozsudek-velkeho-senatu-ze-dne-11-7-2006/.

[5] Urteil des EGMR in der Rechtssache Ilijkov gegen Bulgarien, Antrag Nr. 33977/96.

[6] Urteil des EGMR in der Rechtssache Schmidt gegen Deutschland vom 18. Juni 1994, Nr. 135/80/88.

[7] Urteil des EGMR in der Rechtssache Wainwright gegen das Vereinigte Königreich, 26. September 2006, Nr. 12350/04, Absatz 43.

JUDr. Kateřina Holubová, RA-Konzipientin

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